Um die Pfote gewickelt

Ob sie es war, Hofkatze Minka, oder war es ihr kleiner getigerter Sohn? Vielleicht waren es sogar beide. Minka jedenfalls hatte schon eine ganze Zeit lang beharrlich daran gearbeitet, mich um ihre schwarze flauschige Pfote zu wickeln. Doch ich weigerte mich noch eine ganze Weile standhaft, mich von einer Katze bezirzen zu lassen. Einmal hatte Minka es sogar fast geschafft, zumindest aber hat sie mich mit einem ganz schlechten Gewissen zurückgelassen. Doch ich widerstand – jedenfalls dieses Mal.

Aber beginnen wir von vorn. Hofkatze Minka hatte schon lange, bevor wir, meine Familie und ich, überhaupt ahnten, dass wir in dieses Haus nahe am Ostseestrand einziehen würden, den Hof von genau diesem Haus als Mittelpunkt ihres kleinen Reviers auserkoren. Sie gehörte zwar zu keinem der Hausbewohner, fühlte sich selbst aber dem Haus an sich irgendwie zugehörig. Und weil sie so beharrlich und standorttreu war, bekam sie im Laufe der Zeit immer öfter von dem einen oder anderen Hausbewohner einige Essensreste auf den Hof gestellt. Bald hatte sie sogar ihren eigenen Futterteller.
Als wir Minka kennenlernten, verfielen wir zunächst der irrigen Annahme, sie wäre eine schwarze Katze mit einem braunen Köpfchen. Wir wunderten uns zwar über diese eigenartige Färbung, aber bei Katzen gab es nun mal die unterschiedlichsten Farbschläge. Warum also nicht auch eine an sich schwarze Katze mit einem seltsam braun gefärbten Kopf?
Wir waren zum Jahresende 1980, kurz vor Anfang des Winters, dort eingezogen. Als die kalte Jahreszeit und mit ihr die Heizperiode schließlich vorüber waren, verwandelte sich die schwarzbraune Minka nach und nach in eine rein schwarze Katze. Damals heizten alle im Haus noch mit Kohle. Die Asche landete gewöhnlich in den Mülltonnen des Hauses.
Wenn Minka nun einmal nicht ganz so erfolgreich bei der Mäusejagd gewesen war und auch niemand ihren Futterteller auf dem Hof gefüllt hatte, überprüfte die Katze durchaus auch, ob die Mülltonnen nicht etwas Fressbares für sie hergaben. Bei Minkas Blick in die Tonnen kam sie natürlich auch mit der darin befindlichen Asche in Berührung. Und so färbte sich ihr schwarzer Pelz im Laufe des Winters am Kopf braun ein. Erst in der warmen Jahreszeit wurde aus der schwarzbraunen Katze nach und nach wieder eine einheitlich schwarze Katze. Es dauerte einen ganzen Winter lang, bis uns die Stalllaterne aufging, das die Braunfärbung von Minkas Kopf mit der Asche zusammenhing. Im Nachhinein mussten wir über unsere eigene Dummheit lachen. Mit ein bisschen mehr Beobachtungsgabe hätte uns das Lichtlein durchaus ein wenig früher aufgehen können, und vielleicht hätten auch wir Minka ein bisschen Futter hingestellt, um ihr den Mülltonnenblick zu ersparen. Aber damals wussten wir noch nicht, dass sie eigentlich zu niemandem im Haus gehörte und sich Almosen von allen Hausbewohnern erhoffte.

Wir waren in eine Erdgeschosswohnung eingezogen. Zur Wohnung gehörte ein kleiner Garten, den wir während der Sommermonate fast wie ein zweites Wohnzimmer nutzten. Die Katze Minka leistete uns, wenn wir draußen saßen, bald regelmäßig Gesellschaft, fiel doch auch oft ein kleiner leckerer Futterhappen für sie ab. Inzwischen wussten wir natürlich, dass sie eine unabhängige Katze war. Wir ließen ihr also gern den einen oder anderen Leckerbissen zukommen. Minka muss schnell tiefes Vertrauen zu uns gefasst haben. Noch heute denke ich manchmal, wir hätten sie einfach adoptieren sollen. Sie war eine so liebe Katze. Sie hätte es durchaus verdient.
Doch damals war ich irgendwie einfach noch nicht bereit für ein Haustier. Mein Tag war eh schon mehr als genug ausgefüllt mit Berufsalltag und der Arbeit, die unsere drei Kinder mit sich brachten. Mit einem Haustier wollte ich mich nicht auch noch belasten. Die Kinder waren noch zu klein dafür, als dass sie sich hätten um ein Haustier wie eine Katze kümmern können. Also würde auch diese Arbeit an mir hängen bleiben. Nein, ich hatte keine Zeit für ein Haustier. Und Minka schien mit ihrem Leben nicht gerade unzufrieden zu sein. Sie wurde ja auch mehr oder weniger von allen Hausbewohnern versorgt.

Eines Tages im Frühjahr fiel mir auf, dass die kleine schwarze Katze, Minka war ein relativ kleines Tier, schon eine ganze Weile immer größer zu werden schien, auf jeden Fall wirkte sie von Tag zu Tag rundlicher. Ob in ihrem Bauch Kätzchen heranwuchsen? Je mehr Zeit verging, umso mehr rundete sich ihr Bauch. Dann auf einmal war die Katzendame für eine Weile wie von der Bildfläche verschwunden. Ob sie irgendwo ihre Kätzchen zur Welt gebracht hatte? Dass ich mit meiner Vermutung richtig gelegen hatte, zeigte sich wenig später.

Ich hatte gerade unser Schlafzimmerfenster geöffnet und so eingehakt, dass es nur einen kleinen Spalt offen stand. Das Bett hatte ich aufgeschlagen. Ich verließ den Raum wieder. Zimmer und Bett konnten erst einmal ordentlich durchlüften.
Als ich eine ganze Weile später wieder ins Schlafzimmer trat, um unser Bett zu machen, blieb mir fast der Mund offen stehen, als ich auf mein Kopfkissen blickte. Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können. Tief ins Kissen gekuschelt lagen dort zwei winzige Kätzchen. Während ich einigermaßen fassungslos auf die beiden Katzenbabys schaute, schob Minka ihren Kopf durch den schmalen Fensterspalt. Sie brachte gerade ein weiteres Kätzchen für mein Kopfkissen. Ich kam mir total überrumpelt vor, überrumpelt von einer Katze. Was sollte ich nur tun?
Einerseits war ich über Minkas Vertrauen so gerührt, dass mir fast die Tränen kamen, andererseits wollte ich mir nicht einfach so von einer Katze ihre Kinderstube aufs Auge drücken lassen. Für einen Moment war ich total ratlos. Doch auf dem Kopfkissen konnten die Kätzchen auf keinen Fall bleiben. Eine andere Lösung musste her. Wie bereits oben erwähnt, war ich damals einfach nicht bereit für eine Katze und für eine ganze Katzenfamilie schon gar nicht.
Auch wenn ich mir furchtbar schlecht vorkam, Minka würde mit ihrem Nachwuchs nicht bei uns einziehen können. Nachdem ich eine Weile nachgedacht hatte, holte ich ein Weidenkörbchen aus dem Schuppen, polsterte es ein wenig mit alten Handtüchern aus und legte die Katzenbabys mit einem furchtbar schlechten Gewissen in das Körbchen. Anschließend schloss ich das Schlafzimmerfenster und stellte den Korb mit der flauschigen Fracht an geschützter Stelle in unseren Garten. Was würde Minka tun? Sie tat mir unendlich leid, aber wenn es mich nicht gäbe, würde sie sich trotzdem um ihre Kinder kümmern müssen. Und sie würde es auch ganz sicher tun.
Als Minka schließlich das Körbchen mit ihren Babys entdeckte, schaute sie zunächst ziemlich verwirrt drein. Mein Blick zuvor, als ich die Kätzchen auf meinem Kopfkissen entdeckt hatte, war sicher dem ihren jetzt nicht unähnlich. Es schien richtig in dem Katzenkopf zu rattern. Warum standen ihre Kätzchen plötzlich hier im Garten? Sie hatte sie doch gerade so gut untergebracht. Doch dann schien sie einen Entschluss gefasst zu haben. Sie packte eines der Katzenkinder und trug es hinter unser Haus. Danach holte sie die anderen. Wie ich später sah, hatte sie sich mit ihren Kindern in einem Kellerfensterschacht eine neue Bleibe gesucht. Es sah trocken und durchaus recht gemütlich aus. Der Boden des Schachtes war mit trockenem Laub bedeckt, oben hatte er eine regensichere Abdeckung. Er würde also auch bei feuchtem Wetter trocken bleiben.

Mein schlechtes Gewissen blieb. Wie hatte ich Minkas Vertrauen nur so arg enttäuschen können? Zumindest fühlte ich mich von nun an verpflichtet, Minkas Teller immer ordentlich zu füllen, damit sie sich ausreichend gestärkt um ihren Nachwuchs kümmern konnte. Die Kätzchen wuchsen im Laufe des Sommers auch zu kräftigen und gesunden Katzen heran. Eine Weile waren sie noch regelmäßig auf unserem Hof zu sehen. Irgendwann aber waren sie verschwunden. Wahrscheinlich hatte Minka ihnen zu verstehen gegeben, dass es Zeit für sie wurde, sich nach einem eigenen Revier umzuschauen.

Mit dem nächsten Nachwuchs stellte die kleine schwarze Hofkatze es etwas cleverer an. Für ihre Niederkunft hatte sie es sich dieses Mal in unserem Fahrradschuppen gemütlich gemacht. Wieder hatte sie uns mit ihrem Nachwuchs überrumpelt. Doch ich konnte sie einfach nicht noch einmal vor die Tür setzen. Sie durfte mit ihren Kätzchen bleiben, wo sie war. Sie hatte es gemütlich und trocken. Eine alte Kinderbettmatratze, die wir in den Schuppen ausgelagert hatten, diente der kleinen Familie als gemütliche Lagerstatt. Futter gab es natürlich auch wieder regelmäßig für die Katzenmama und, als es an der Zeit war, auch für die drei Katzenkinder – zwei schwarzweiße und ein graugetigertes Kätzchen.

Zwei der Kätzchen fanden später auf einem Bauernhof ein neues Zuhause. Das dritte, ein Katerchen, schlich sich still und leise in mein Herz und anschließend Schritt für Schritt in unsere Wohnung.
Minka hatte es also doch irgendwie geschafft, mein Herz zu erweichen. Für den letzten Rest sorgte ihr Sohn – ein kleiner getigerter Kater aus diesem Fahrradschuppenwurf der schwarzen Katzendame. In meinem Buch „Pfote aufs Herz“ taucht der kleine Tiger als Hannibal bzw. Schnups auf. Fast sechs Jahre hat er uns durch unser Leben begleitet und dann kam die Wende in unseren deutschen Landen und mit ihr noch eine ganz andere Wende …

… und die kann in meinem Buch weiterverfolgt werden …